Die Wannsee-Entscheidung des BVerwG
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hatte in seiner Wannsee-Entscheidung vom 09.08.2018 (https://www.bverwg.de/de/090818U4C7.17.0) zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen die Festsetzungen eines Bebauungsplanes über das Maß der baulichen Nutzung nachbarschützende Wirkung entfalten. Grundsätzlich sind solche Festsetzungen nicht nachbarschützend (Ausnahme: Die Gemeinde wollte der Maßfestsetzung kraft ihres Willens als Planungsträger eine drittschützende Wirkung verleihen), weshalb eine Verletzung nachbarlicher Rechte ausschließlich über das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme in Betracht kommt. Diese Rechtsprechung wurde nun gelockert.
Ausgangsfall
2011 erteilte das zuständige Berliner Bezirksamt für einen auf einem Ufergrundstück am Wannsee zu errichtenden sechsgeschossigen Neubau einen Bauvorbescheid. Zugleich kündigte es Befreiungen nach § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB für Abweichungen von den Maßfestsetzungen des aus dem Jahr 1959 stammenden Bebauungsplan an. Gegen diesen Bauvorbescheid wandte sich ein Segelsportverein als Eigentümer des unmittelbar benachbarten Ufergrundstücks, das mit einem dreigeschossigen Vereinshaus und Wassersportanlagen bebaut ist. Die Klage hatte in allen Instanzen Erfolg – der Bauvorbescheid wurde aufgehoben.
Vorstellungen lassen sich subjektiv-rechtlich aufladen
Das Gericht erkannte den Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung eine nachbarschützende Wirkung zu. Die Besonderheit der Entscheidung liegt darin, dass der Bebauungsplan aus einer Zeit stammt, in der der bauplanungsrechtliche Nachbarschutz als Rechtsfigur (60er) noch nicht entwickelt war. Dennoch, so das Gericht, könnten auch Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung aus älteren, übergeleiteten Baunutzungs-, Baustufen- und Durchführungsplänen eine drittschützende Wirkung entfalten. Die konkreten Vorstellungen des historischen Plangebers ließen sich im Nachhinein subjektiv-rechtlich aufladen, nämlich auf der Grundlage des heutigen Verständnisses von den Aufgaben der Bauleitplanung und des Systems des baurechtlichen Nachbarschutzes. Demnach komme Maßfestsetzungen dann eine drittschützende Wirkung zu, wenn sie nach dem Planungskonzept Bestandteil eines wechselseitigen nachbarlichen Austauschverhältnisses seien. Daraus folge unmittelbar, dass der einzelne Eigentümer die Maßfestsetzungen aus einer eigenen Rechtsposition heraus auch klageweise verteidigen könne.
Fazit und Auswirkungen
Die Entscheidung senkt die rechtlichen Hürden für rechtsschutzsuchende Nachbarn ab. Für Bauherren ergibt sich eine neue Rechtsunsicherheit. Die Entscheidung wird nicht nur überall dort relevant, wo noch übergeleitetes Planrecht gilt; sie deutet auch an, dass die bisher zurückhaltende Rechtsprechung zum Nachbarschutz von Maßfestsetzungen insgesamt gelockert werden könnte. Es bleibt neben den aufgeworfenen Fragen spannend, inwieweit die Dogmatik des bauplanungsrechtlichen Drittschutzes in Zukunft noch weiter auf den Kopf gestellt wird.