Solo oder Schein – Selbständige zwischen allen Stühlen
Die ohnehin schwierige Abgrenzung von echter, sogenannter „Soloselbstständigkeit“ und bloßer Scheinselbstständigkeit ist durch zwei gegenläufige Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in jüngster Zeit nicht einfacher geworden: So wurde der Freispruch angeblich scheinselbstständiger Paketzusteller ebenso bestätigt wie den Schuldspruch gegen angeblich scheinselbstständige Bühnenaufbauer. Dabei richtet sich die Abgrenzung formal nach den immer gleichen Kriterien: Selbstständig soll sein, wer u. a. ein eigenes Unternehmerrisiko trägt, eine eigene Betriebsstätte hat, über die eigene Arbeitskraft verfügen und seine Tätigkeit und Arbeitszeit frei einteilen kann. Abhängig beschäftigt soll hingegen gegen jemand sein, der u. a. in einen fremden Betrieb eingegliedert ist und der einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt.
So einfach das klingt, so kompliziert ist die Abgrenzung in der Praxis: Selbst bei Einhaltung aller Regeln sind selbstständig erbrachte Leistungen von denen angestellter Arbeitnehmer äußerlich oft kaum zu unterscheiden. Am Ende sind für die Abgrenzung damit Nuancen entscheidend. Dass dies nicht richtig sein kann geht schon daraus hervor, dass es sich bei diesen zumeist um Einzelheiten rechtlicher oder tatsächlicher Art handelt, die man in Kenntnis der Problematik leicht auch anders hätte gestalten können – mit dann wohl dem gegenteiligen Ergebnis.
Im Strafrecht gilt der eherne Grundsatz, dass klar erkennbar sein muss, was erlaubt und was verboten ist. Dies ist bei der Abgrenzung von Selbstständigkeit und Scheinselbstständigkeit schon lange nicht mehr der Fall. Gleichzeitig sind die in diesem Zusammenhang verhängten Strafen, die sich primär an der Höhe des angeblichen Schadens bei Sozialversicherung richten, außerordentlich hoch. Hier besteht aus Verteidigersicht ein auffälliges Missverhältnis: Wo sich schon die Juristen in diesen Fragen uneins sind, wird man kaum dem einfachen Arbeiter eine Einschätzung abverlangen können, ob er nun abhängig beschäftigt ist oder nicht. Eine solche Rechtsunsicherheit müsste sich bei der Bemessung einer Strafe sogar eher zu Gunsten der beschuldigten Person auswirken als (wie derzeit) zu ihren Lasten.
Der Bundesgerichtshof macht es sich einfach, indem er darauf verweist, dass jeder bei der Deutschen Rentenversicherung Bund die kostenlose Feststellung beantragen könne, ob er abhängig beschäftigt und damit sozialversicherungspflichtig ist oder nicht (so genanntes Statusfeststellungsverfahren). Dies ist aber, worauf Mansdörfer in der juris Monatszeitschrift von März 2020 zutreffend hinweist, keine Legitimation dafür, auf der Basis einer unbestimmten Strafnorm eine Sanktion zu verhängen, und zwar letztlich dafür, dass die vermeintlich Selbständigen sich nicht durch einen Statusfeststellungsantrag abgesichert haben.
Als Verteidiger habe ich immer wieder erlebt, wozu das führt: Es landen Unternehmer auf der Anklagebank, die, zum Teil sogar auf der Basis einer ausdrücklichen Empfehlung ihrer Steuerberater, selbstständige Arbeiter bei sich beschäftigen oder an andere vermitteln, die nahezu alle Kriterien einer selbstständigen Tätigkeit aufweisen, und die am Ende trotzdem mit dem Argument bestraft werden, dass bei einer Gesamtschau die Eingliederung in den aufnehmenden Betrieb hoch sei.
Dies kann nicht richtig sein.